Küchenphilosophien

Ich bin auf dem Markt einkaufen. Ich liebe diese Vielfalt an Farben, Formen, Gerüchen und Geräuschen. Salat in allen Grün- und Rottönen, großblättrig bis zackig ausgefranst. Daneben Tomatenberge, saftig, rund und rot. Auberginen, dunkel glänzend oder weiß-lila gestromt. Brokkoli, Fenchel, Fisolen, Radieschen, Karfiol oder gelbe Zucchini. Was lasse ich mir heute in meinen Einkaufskorb packen? Was aus dem reichlichen Angebot macht mir heute Lust zu kochen? Während mein Blick über das farbenfrohe Gemüse wandert, weht mir ein Lüftchen das Aroma von Kreuzkümmel, Koriander und Kurkuma unter die Nase. Indisch?

Ich schiele nach links, wo der Verkäufer einer Dame das Beerensortiment anpreist. »Nein danke«, sagt sie, »Himbeeren und so kaufe ich im Supermarkt. Tiefgekühlt!«

»Aber hier bekommen Sie ganz frisch!«, hält ihr der Mann ein Schälchen hin. Die Frau schüttelt energisch den Kopf.

»Tiefgekühlt geht das viel besser. In die Mikrowelle und fertig«, bekräftigt sie freundlich nickend.

Als der Verkäufer das Beerenschächtelchen zu den anderen stellt und offensichtlich überlegt womit er der Kundin noch Appetit machen könnte, zupft mich jemand am Ärmel.

Ich drehe mich um und da steht die Frau Squenz vor mir, schaut mich mit großen Augen an und meint: »Mikrowöln brauch i kane! Wal, des is zwoa hoass, owa es tuat nur so. Tätn Sie sowos essn? I ned!«¹

Na ja, denke ich, manchmal ist so eine Mikrowelle schon praktisch und überlege was sie damit meint, dass es nur so scheint als ob es heiß wäre. Denn wenn Sie eine Mikrowelle haben wird es Ihnen auch schon passiert sein, dass Sie es mit der Garzeit etwas übertrieben haben. Jedenfalls werden Sie mir zustimmen, dass das Ergebnis sehr wohl heiß ist. Ziemlich heiß sogar.

Ich will gerade ein Stück weitergehen – ein paar Äpfel fehlen mir noch und das Beerenpotpourri hat die Kundin vorhin zwar links liegen lassen aber meinen Gusto angefacht – als mich wieder die Frau Squenz aufhält. Brotschneidemaschine hat sie auch keine, erzählt sie mir und dass sie dafür nur ein ordentliches Messer braucht.

Vor mir taucht das Bild meiner Großtante auf, die in der Bauernstube nach dem dunklen Brotlaib greift, ihn auf Bauchhöhe gegen die Blaudruck-Schürze stemmt und mit dem großen Messer einen schmalen Brotkeil heruntersäbelt. So ein Stück Brot hatte etwas sehr Individuelles. Jedes Stück, auf diese Art geschnitten und ausgeteilt, war unterschiedlich dick und lang und so auch dem Appetit des Essers angemessen. Also nicht exakt acht oder zehn Millimeter dick wie die verpackten Scheiben im Supermarkt oder die gleichförmigen Brote am Würstlstand. Diese Brotscheiben waren leicht keilförmig, unterscheidbar, kühn und spontan.

Über diesen appetitanregenden Bildern vergesse ich beinahe auf die Frau Squenz und sehe mich nach einer Bäckerei um. So leicht lässt sich die Frau Squenz aber nicht übersehen. Wenn sie einmal in Fahrt ist, dann erzählt sie was ihr auf der Zunge liegt und im Herzen brennt. Zum Beispiel, dass sie auch keine Eier-Uhr braucht und dass sie trotzdem ganz genau weiß wieviel Zeit ein weiches oder hartes Ei braucht.

Schon denke ich mir: sie wird halt irgendwo auf die Uhr schauen, als sie meint, man müsse nur ein bestimmtes Lied singen. Eine Strophe würde genau eine Minute dauern. Für ein weiches Ei müsse man also nur alle vier Strophen singen. Natürlich wäre es erforderlich immer im gleichen Tempo zu singen, außer das Ei wäre ein wenig kleiner oder größer. Aber sie habe ja schon jahrzehntelang Übung im Eier besingen und das wäre eine ganz einfache, todsichere Methode.

Und dann fängt sie auch schon an zu singen:

»Oh Haupt vul Bluat und Wundn

Vul Schmerz und vula Hohn

Oh Haupt zum Spott gebundn

Mit ana Doanankron…«²

Die Leute ringsum bleiben stehen, möglicherweise überlegend ob in den Schürzentaschen der Frau Squenz ein paar Euro auf Gesellschaft warten. Ich bin hin- und hergerissen ob ich die Zeit mitstoppen oder mich aus dem Staub machen soll. Aber ich harre aus. Denn schließlich singt die Frau Squenz ja für mich, da läuft man nicht einfach weg, nicht wahr? Das wäre doch unhöflich, oder?

Sie singt also alle vier Strophen des Liedes fertig und am Ende meint sie dann: » Na, hättns ruhig nochschaun kennan auf eana Uhr.«³ Und ich fühle mich ertappt in meinem ungläubigen Staunen. Von einem Ohr bis zum anderen grinsend setzt sie dann noch nach: »Segns, braucht ma ka Eia Uhr!«⁴

Ich denke: Jaaa – das ist natürlich eine Möglichkeit aber bis ich das Lied und das nötige Tempo gelernt hätte, würde die Familie harte Eier essen müssen. Also bleibe ich lieber bei meiner Eieruhr.

Übersetzungen:

¹»Mikrowöln brauch i kane! Wal, des is zwoa hoass, owa es tuat nur so. Tätn Sie sowos essn? I ned!«

²»Oh Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, oh Haupt zum Spott gebunden, mit einer Dornenkron…”

³» Na, Sie hätten ruhig nachschauen können auf Ihrer Uhr.«

⁴»Sehen Sie, man braucht keine Eier Uhr!«